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Datum in anderen Publikationen: 11.01.2022

Verfahrensgang

AG Schöneberg, Beschl. vom 15.06.2021 – 71e III 18/21 (IPRspr 2021-35)
KG, Beschl. vom 19.01.2022 – 1 W 345/21 (IPRspr 2022-126)

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Registersachen

Leitsatz

Bei einer im Westjordanland unter Beteiligung eines Scharia-​Gerichts erfolgten Scheidung der Ehe eines dort wohnhaften Palästinensers und einer ebenfalls dort wohnhaften Palästinenserin handelt es sich um eine sogenannte Heimatstaatenentscheidung. Stellt sich bei der Beurkundung eines Personenstandsfalles die Vorfrage, ob eine solche Scheidung im Inland anzuerkennen ist, kann die Beurkundung nicht abgelehnt werden, weil kein Verfahren auf Anerkennung der Scheidung durch die Justizverwaltungsbehörde erfolgt ist. Über die Anerkennung hat der Standesbeamte selbst zu entscheiden.

Rechtsnormen

EGBGB Art. 5
FamFG § 58; FamFG § 63; FamFG § 64; FamFG § 65; FamFG § 107
PStG § 51; PStG § 53
PStG-VwV Nr. A 6.2.9
StaatenlosenÜ Art. 1; StaatenlosenÜ Art. 12

Sachverhalt

Die Beteiligte zu 2 wurde 1991 in T ... x geboren. Sie schloss im Juli 2015 mit A ... M ... M ... M ... aus A ... die Ehe. T ... und A ... sind Städte im Westjordanland. Die Ehe wurde im September 2015 geschieden. Hierüber stellte das Scharia-​Gericht von T ... am 3. Januar 2016 eine Urkunde aus, die im Original vorliegt. Der Beteiligte zu 1 ist aufgrund seiner Einbürgerung vom xx.xx.2001 deutscher Staatsangehöriger. Er schloss am xx.xx.2016 mit der Beteiligten zu 2 die Ehe, worüber das Scharia Gericht in T ... die Urkunde Nr. 0 ... x ausstellte, die ebenfalls im Original vorliegt. Die Beteiligte zu 2 reiste am xx.xx.2017 aufgrund eines ihr zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilten Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebt seither bei dem Beteiligten zu 1.  Am xx.xx.2020 gebar die Beteiligte zu 2 in Berlin einen Sohn, den Beteiligten zu 4. Das Standesamt lehnte in der Folgezeit eine Beurkundung der Geburt mit dem Beteiligten zu 1 als Vater ab.

Die Beteiligten zu 1, 2 und 4 haben beantragt, das Standesamt anzuweisen, die Geburt des Beteiligten zu 4 mit den Beteiligten zu 1 und 2 als seinen Eltern zu beurkunden. Das Amtsgericht hat das Standesamt mit Beschluss vom 15. Juni 2021 angewiesen, die Geburt des Beteiligten zu 4 „nicht aus dem Grund abzulehnen, dass die Kindesmutter keine Anerkennungsentscheidung betreffend die Scheidung der 1. Ehe der Kindesmutter nach § 107 FamFG vorgelegt hat“. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 3 mit ihrer Beschwerde, der mit Beschluss vom 9. September 2021 nicht abgeholfen worden ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 21. Juni 2021 bei dem Amtsgericht erhoben worden, §§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG, 51 Abs. 1 PStG. Die Beteiligte zu 3 ist auch zur Einlegung des Rechtsmittels befugt, § 53 Abs. 2 PStG ...

[3]2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

[4]a) ... b) Die angefochtene Entscheidung ist im Ergebnis auch zutreffend. Die Scheidung der ersten Ehe der Beteiligten zu 2 bedarf keiner Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung.

[5]aa) Allerdings werden Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe für nichtig erklärt, aufgehoben, dem Ehebande nach oder unter Aufrechterhaltung des Ehebandes geschieden oder durch die das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt worden ist, nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG. Die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen oder nicht vorliegen, ist für Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend, § 107 Abs. 9 FamFG. Die Anerkennung einer Scheidung wirkt auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der ausländischen Scheidung zurück (BGH, FamRZ 2019, 1537, 1538 (IPRspr. 2019-138); MDR 1983, [118] (IPRspr. 1982 Nr. 170)), die Ehe gilt dann auch in Deutschland ab diesem Zeitpunkt für aufgelöst (Dimmler, in: Keidel, a.a.O., § 107, Rdn. 54).

[6]Der Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung bedürfen sogenannte Heimatstaatenentscheidungen nicht. Das sind solche, in denen ein Gericht oder eine Behörde des Staates entschieden hat, dem beide Ehegatten im Zeitpunkt der Entscheidung angehört haben, § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG. Liegt eine solche Entscheidung vor, hat die damit befasste deutsche Verwaltungsbehörde oder das deutsche Gericht über ihre Anerkennung inzident selbst zu befinden (Senat, Beschluss vom 4. April 2017 – 1 W 447/16 (IPRspr. 2017-302b) – FGPrax 2017, 238, 239). Dies gilt selbst dann, wenn einem Beteiligten das Anerkennungsverfahren nach § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG trotz Vorliegens einer Heimatstaatenentscheidung offen stünde (BGH, NJW 2019, 931, 932 (IPRspr. 2018-139)). Die Beurkundung der Geburt eines Kindes kann dann von dem Standesamt nicht von der vorherigen Entscheidung der Landesjustizbehörde abhängig gemacht werden (Senat, a.a.O.). Dies ist inzwischen auch zu A 6.2.9 PStG-​VwV ausdrücklich geregelt.

[7]bb) Um eine Heimatstaatenentscheidung im vorgenannten Sinn handelt es sich bei der Scheidung der ersten Ehe der Beteiligten zu 2.

[8](1) Dem steht nicht entgegen, dass Palästina durch die deutsche Bundesregierung völkerrechtlich nicht als Staat anerkannt wird. Das führt nicht dazu, dass jegliche Handlungen der Palästinensischen Autonomiebehörde für unbeachtlich zu gelten hätten. Andernfalls wäre es schon nicht möglich gewesen, der Beteiligten zu 2 allein auf Grund ihres palästinensischen Reisepasses ein Visum zu erteilen und damit ihre Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen.

[9]Auch handelt es sich bei diesem von der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgestellten Reisepass um einen von dem Bundesministerium des Innern anerkannten Pass (vgl. Allgemeinverfügung über die Anerkennung eines ausländischen Passes oder Passersatzes vom 6. April 2016, BAnz AT vom 25. April 2016).

[10](2) Ob beide Ehegatten die Staatsangehörigkeit des Entscheidungsstaates besaßen, richtet sich nach dessen Staatsangehörigkeitsrecht (Spellenberg, in: Staudinger, BGB, 2016, § 107, Rdn. 88).

[11]Völkerrechtliche Voraussetzung für die Anwendung des Staatsangehörigkeitsrechts eines Staates ist dessen Vorhandensein, d.h. seine völkerrechtliche Anerkennung (Bausback, in: Staudinger, BGB, 2013, Anhang I zu Art. 5 EGBGB, Rdn. 41; Hailbronner, in: Hailbronner/Maaßen/ Hecker/Kau, Staatsangehörigkeitsrecht, 6. Aufl., Teil I, Rdn. 9). Wegen der fehlenden Anerkennung Palästinas durch die Bundesregierung müssten im Westjordanland lebende, von der Palästinensischen Autonomiebehörde als Palästinenser anerkannte Personen als staatenlos betrachtet werden, sofern sie keine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Das steht in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (StlÜbk). Das Übereinkommen ist durch das Zustimmungsgesetz vom 12. April 1976 in innerstaatliches Recht transformiert worden (BVerwG, NVwZ 1992, 674, 675). Palästinenser, soweit sie nicht eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben, sind staatenlos im Sinne des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk (BVerwG, StAZ 1993, 357, 358).

[12]Wird die Ehe zweier Palästinenser in diesem Sinne im Westjordanland unter Beteiligung eines Gerichts oder einer Behörde geschieden, handelt es sich um eine Heimatstaatenentscheidung. Das lässt sich den Wertungen in Art. 12 Abs. 1 StlÜbk, Art. 5 Abs. 2 EGBGB entnehmen, wonach das Recht an seinem Wohnsitz bzw. seines Aufenthalts maßgeblich ist.

[13]Dieses Ergebnis steht darüber hinaus in Übereinstimmung mit der Auffassung, dass es im Rahmen des Internationalen Privatrechts für die Bestimmung der Staatsangehörigkeit auf die völkerrechtliche Anerkennung einer Regierung, die faktisch Hoheitsgewalt in einem bestimmten Gebiet ausübt, nicht ankommen, (v. Hein, in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl., Art. 5 EGBGB, Rdn. 20).

[14](3) Ausweislich des Reisepasses und ihrer in Kopie vorliegenden Geburtsurkunde (Bl. 6 der standesamtlichen Sammelakte) wird die Beteiligte zu 2 von der Palästinensischen Autonomiebehörde als Palästinenserin behandelt. Die Scheidung ihrer ersten Ehe erfolgte im von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten Westjordanland.

[15]Der Senat vermag keine Anhaltspunkte für durchgreifende Zweifel daran zu erkennen, dass es sich bei ihrem ersten Ehemann ebenfalls um einen Palästinenser gehandelt haben könnte. Ausweislich der Scheidungsurkunde stammte er wie die Beteiligte zu 2 aus dem Westjordanland und besaß wie sie eine zur Anerkennung eines Reisepasses der Palästinensischen Autonomiebehörde erforderliche Identitätsnummer (beginnend mit der Ziffer 9, vgl. Bundesanzeiger, a.a.O., S. 53). Die Scheidungsurkunde wurde bei der erneuten Eheschließung der Beteiligten zu 2 mit dem Beteiligten zu 1 ausdrücklich erwähnt, die Beteiligte zu 2 in dem Ehevertrag vom 10. Juli 2016 als „geschieden“ bezeichnet.

[16]3. ...

Fundstellen

Bericht

Finger, FamRB, 2022, 173
Majer, NZFam, 2022, 232

LS und Gründe

FamRZ, 2022, 807, mit Anm.: von Hein
MDR, 2022, 830
NJW-RR, 2022, 514
StAZ, 2022, 106

nur Leitsatz

FF, 2022, 264

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/permalink/2022-126