PDF-Version

Verfahrensgang

AG Darmstadt, Beschl. vom 24.02.2022 – 53 F 1122/21
OLG Frankfurt/Main, Beschl. vom 17.10.2022 – 6 UF 68/22, IPRspr 2022-144

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Zuständigkeit in Ehe- und Kindschaftssachen
Kindschaftsrecht → Abstammung

Leitsatz

Eine einmal erfolgte Statuszuordnung überdauert als wohlerworbenes Recht nach den allgemeinen Regeln über Statutenwechsel eine Änderung der Anknüpfungstatsachen.

Die durch Art. 19 Abs. 1 EGBGB berufenen Rechtsordnungen sind gleichrangig nebeneinander anwendbar. Es ist Sinn und Zweck der Mehrfachanknüpfung in Art. 19 Abs. 1 EGBGB, dem Kind nach Möglichkeit zu einem Vater zu verhelfen ("Günstigkeitsprinzip"). Sind die Anforderungen einer Rechtsordnung erfüllt, spielt es keine Rolle, wenn die andere Rechtsordnung weitere Hürden aufstellt oder die Statuszuordnung zu dem betreffenden Elternteil sogar ausschließt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGBGB Art. 19
FamFG §§ 58 ff.; FamFG § 100; FamFG § 170
ZPO § 261

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt, durch den der Antragsteller und Beteiligte zu 3. als Vater der Beteiligten zu 1. festgestellt wurde. Die Beteiligten zu 2. und 3. sind und waren nicht miteinander verheiratet. Die Beteiligte zu 2. ist die Mutter der Beteiligten zu 1. und ledig. Die Beteiligte zu 1. wurde 2020 in Rumänien geboren.

Mit Schriftsatz vom 8.7.2021 hat der Antragsteller das vorliegende Abstammungsverfahren mit dem Ziel der Feststellung eingeleitet, dass er der Vater des 2020 geborenen Kindes ist. Zu Beginn des Verfahrens lebte die Beschwerdeführerin mit der Beteiligten zu 1. in Deutschland. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Antragsteller der Vater des Kindes A ist. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Beteiligte zu 2. die Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses. Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Darmstadt vom 24.02.2022 aufzuheben.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. [FamFG] statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

[3]Das Amtsgericht hat zu Recht den Antragsteller als Vater des Kindes A, geb. am XX.XX.2020, festgestellt.

[4]Die deutschen Gerichte sind für die Entscheidung gemäß § 100 FamFG international zuständig, weil alle Beteiligten bei Antragseingang ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Der Umzug der Kindesmutter und des Kindes nach Rumänien nach Einleitung des Verfahrens berührt die internationale Zuständigkeit nicht, perpetuatio fori internationalis - entsprechend § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (BeckOK FamFG/Sieghörtner, 43. Ed. 1.7.2022, FamFG § 100 Rn. 4; MüKoFamFG/Rauscher, 3. Aufl. 2018, FamFG § 100 Rn. 22).

[5]Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts beruht auf § 170 Abs. 1 FamFG. Da das Kind bei Anhängigwerden des Verfahrens (mit einer perpetuatio fori) im Bezirk des Amtsgerichts Darmstadt lebte, war der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes maßgeblich.

[6]Im vorliegenden Fall unterliegt die Anfechtung der Vaterschaft jedenfalls auch der deutschen Rechtsordnung. Gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB gilt das Recht des Staates Deutschland, weil das Kind dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Anhängigwerden des Verfahrens hatte. Eine einmal erfolgte Statuszuordnung überdauert als wohlerworbenes Recht nach den allgemeinen Regeln über Statutenwechsel eine Änderung der Anknüpfungstatsachen (MüKoBGB/Helms, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 19 Rn. 31). Durch den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes nach Rumänien gilt auch das Recht des Staates Rumänien.

[7]Im vorliegenden Fall ist demnach ausländisches und deutsches Recht anzuwenden. Die durch Art. 19 Abs. 1 EGBGB berufenen Rechtsordnungen sind gleichrangig nebeneinander anwendbar (MüKoBGB/Helms, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 19 Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des BGH sei es Sinn und Zweck der Mehrfachanknüpfung in Art. 19 Abs. 1 EGBGB, dem Kind nach Möglichkeit zu einem Vater zu verhelfen ("Günstigkeitsprinzip"). Sind die Anforderungen einer Rechtsordnung erfüllt, spielt es keine Rolle, wenn die andere Rechtsordnung weitere Hürden aufstellt oder die Statuszuordnung zu dem betreffenden Elternteil sogar ausschließt (BGH, Beschluss vom 13.9.2017 - XII ZB 403/16 (IPRspr 2017-144b) - beck-online;MüKoBGB/Helms, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 19 Rn. 16). Da fraglich ist, ob die Feststellung des Antragstellers als Vater des Kindes überhaupt möglich ist (auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 04.01.2022 wird verwiesen) und die Voraussetzungen der Vaterschaftsfeststellung vorliegen, ist deutsches Recht anwendbar.

[8]...

Fundstellen

Bericht

FamRB, 2023, 66
Schwonberg, MDR, 2023, 66
Haußleiter/Schramm, NJW-Spezial, 2023, 101
Frank, NZFam, 2023, 40

LS und Gründe

FamRZ, 2023, 619
NJW-RR, 2023, 12

nur Leitsatz

FF, 2023, 216

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/permalink/2022-144