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Verfahrensgang

ArbG Köln, Teilurt. vom 09.04.2021 – 10 Ca 1441/20
LAG Köln, Urt. vom 18.01.2022 – 4 Sa 312/21 (IPRspr 2022-129)

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht → Individualarbeitsrecht
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Deutsches Kündigungsschutzrecht ist gegenüber dem türkischen Kündigungsschutzrecht für den Arbeitnehmer günstiger. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

ArbGG § 48
BGB § 626; BGB § 628
EGBGB Art. 6
EuGVVO 1215/2012 Art. 20; EuGVVO 1215/2012 Art. 21
KSchG § 1; KSchG § 9; KSchG § 10; KSchG § 14
Rom I-VO 593/2008 Art. 8; Rom I-VO 593/2008 Art. 21
ZPO § 301; ZPO § 318

Sachverhalt

Die Parteien streiten zweitinstanzlich um die Wirksamkeit einer Kündigung vom 14.02.2020 und die Weiterbeschäftigung des Klägers. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist 1975 geboren, verheiratet und 2 volljährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Die Beklagte ist die halbstaatliche türkische Fluggesellschaft T AG. Sie unterhält in Deutschland mehrere Zweigstellen in Städten mit Flughäfen, unter anderem in S, D und K . Der Kläger wurde mit Arbeitsvertrag vom 23.07.2008 ab dem 01.08.2008 am Standort S eingestellt. Für den Arbeitsvertrag wurde die Geltung deutschen Arbeitsrechts vereinbart. Mit Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 13.12.2017 wurde dem Kläger die Funktion eines Sales-​Managers in der Niederlassung S zu übertragen. Im Jahre 2017 vereinbarten die Parteien, dass der Kläger versetzt wird. Der Kläger war in D und zuletzt in K tätig. Am 31.01.2018 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, mit dem das zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf des 31.01.2018 im gegenseitigen Einvernehmen beendet wird. Die Umstände der Vertragsunterzeichnung sind zwischen den Parteien streitig. Auf Grundlage eines in türkischer Sprache verfassten Vertrages, wurde nach einer Übersetzung von den Parteien am 01.02.2018 ein Dienstvertrag unterzeichnet. Nach der Übersetzung ist diesem Vertrag zu entnehmen, dass sich Rechte und Verpflichtungen der Parteien nach der Beendigung des lokalen Arbeitsvertrages nach türkischen Gesetzen, Ordnungen und regulierenden Rechtsvorschriften oder den seitens der Gesellschaft in Umlauf gebrachten und von Zeit zu Zeit durch die TH (Beklagte) zu veröffentlichenden oder zu ändernden Ordnungen, Anweisungen, Regeln, Bestimmungen, Prozeduren und Änderungen TH Regulierungen, richten sollen. Nach dem Vertrag werden die Bestimmungen der Sozialsicherheitsgesetze im Rahmen der türkischen Rechtsvorschriften angewandt. Zudem gab der Kläger eine in türkischer Sprache verfasste Verpflichtungserklärung mit Datum 22.05.2018 ab. Die Beklagte führte fortan im Hinblick auf den abgeschlossenen Vertrag, nach dem der Kläger türkischem Sozialversicherungsrecht unterliegt, keine Beiträge zur Sozialversicherung an die deutschen Sozialversicherungsträger mehr ab. Nach einer Übersetzung des Schreibens erklären zwei Mitarbeiter der Beklagten handschriftlich auf einem Schreiben vom 14.02.2020, das dieses Kündigungsschreibens dem Kläger am 17.02.2020 ausgehändigt wurde, wobei er den Erhalt nicht bestätigen wollte. Nach der Übersetzung heißt es in dem Schreiben vom 14.02.2020, das aufgrund des Berichts des Aufsichtsrates der Verdacht bestehe, dass der Kläger bei einer Reise nach Ä Vorteile und Begünstigungen erhalten habe. Der Kläger forderte die Beklagte auf, ihm das Kündigungsschreiben vom 17.02.2020 auszuhändigen. Mit Schreiben vom 27.02.2020 adressiert an "To Whom It May Concern" bestätigte die Beklagte in englischer Sprache, dass der Kläger am 17.02.2020 die Firma verlassen habe, und der Arbeitsvertrag gekündigt worden sei.

Mit der am 09.03.2020 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch eine am 17.02.2020 in I ausgesprochene fristlose oder fristgerechte Kündigung beendet worden ist, sondern zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht. Des Weiteren hat er beantragt, dass die Beklagte verurteilt wird, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses weiter zu beschäftigen. Hinsichtlich dieser Klageanträge ist gegen die Beklagte im Termin vom 10.09.2020 von der 10. Kammer des Arbeitsgerichts Köln antragsgemäß ein Teilversäumnisurteil ergangen. Mit Schriftsatz vom 23.09.2020 hat die Beklagte gegen das Teilversäumnisurteil Einspruch eingelegt. Mit Teilurteil vom 09.04.2021 hat das Arbeitsgericht Köln das Teilversäumnisurteil vom 10.09.2020 aufrechterhalten mit der Maßgabe, den Kläger als Leiter der Marketing- und Corporate-​Abteilung in der Zweigstelle K weiter zu beschäftigen. Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, …

[2]II. Die Berufung ist zulässig.

[3]1. ... 2. Das Arbeitsgericht Köln und das Landesarbeitsgericht Köln sind zuständig.

[4]Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 20 Abs. 2, 21 Abs. 2, Abs. 1 b) Ziff. i) EuGVVO und die örtliche Zuständigkeit gemäß § 48 Abs. 1a ArbGG festgestellt. Auf diese Begründung und die dort mitgeteilten und zitierten Rechtsgrundsätze aus der Rechtsprechung wird Bezug genommen. Die Beklagte hat sich im Rahmen der Berufungsbegründung mit der Anwendbarkeit des deutschen bzw. türkischen Rechts und der Wirksamkeit der Kündigung nach materiellem Recht auseinandergesetzt, nicht mit der Zuständigkeit.

[5]III. Die Berufung ist teilweise begründet. [Z]u Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht Köln dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich ausgesprochene Kündigung vom 19.02.2021 hat die Berufung der Beklagten Erfolg und führt zur teilweisen Abänderung des erstinstanzlichen Teilurteils.

[6]1. Zwar ist davon auszugehen, dass das Teilurteil vom 27.05.2021 nicht den Voraussetzungen des § 301 Abs. 1 ZPO entspricht und daher unzulässig ist. Allerdings gilt es den Beschleunigungsgrundsatz im vorliegenden Rechtsstreit besonders zu berücksichtigen, so dass einen Entscheidung über die eingelegte Berufung geboten ist

[7]a. Gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Endentscheidung durch Teilurteil zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist. § 301 ZPO dient der Beschleunigung, soll aber auch die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidung in ein und demselben Rechtsstreit gewährleisten.

[8]Ob das erstinstanzliche Teilurteil zu Recht ergangen ist, hat das Berufungsgericht von Amts wegen und ohne Verfahrensrüge zu berücksichtigen (BeckOK ZPO/Elzer, 43. Ed. 1.12.2021, ZPO § 301 Rn. 94).

[9]Ein Teilurteil nach § 301 ZPO darf auch bei grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstandes nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Dabei ist eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr besteht namentlich bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen diesen eine materiell-​rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (BAG, Urteil vom 28.06.2018 - 8 AZR 141/16 - Rn. 22, juris).

[10]Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte kein Teilurteil erlassen werden dürfen. Mit dem Antrag zu 3. begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Aufhebungsvertrag vom 31.01.2018 das seit dem 04.06.2008 bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers nicht beendet hat und sein Arbeitsverhältnis dem Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland unterliegt. Über diesen Antrag hat das Arbeitsgericht nicht entschieden.

[11]Bei der Wirksamkeitsprüfung der Kündigung hat das Arbeitsgericht über die Anwendbarkeit deutschen oder türkischen Arbeitsrechts entschieden. Nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist deutsches Kündigungsschutzrecht und damit ein Teil des deutschen Arbeitsrechts anwendbar, trotz der Wahl des türkischen Arbeitsrechts im Vertrag vom 01.02.2018. Eine Entscheidung über den Aufhebungsvertrag und das grundsätzlich anzuwendende Recht hat das Arbeitsgericht nicht getroffen. Wäre der Aufhebungsvertrag vom 31.01.2018 unwirksam und deutsches Arbeitsrecht grundsätzlich anwendbar, würde diese Prüfung entfallen und stünde nicht zur Entscheidung an. Es besteht die theoretische Möglichkeit, dass das Landesarbeitsgericht wegen des Aufhebungsvertrages und des Vertrages vom 01.02.2018 türkisches Arbeitsrecht für anwendbar hält. Sollte das Landesarbeitsgericht türkisches Kündigungsschutzrecht für anwendbar halten, und das Arbeitsgericht später zu dem Ergebnis kommen, dass der Aufhebungsvertrag unwirksam und das Arbeitsverhältnis deutschem Arbeitsrecht unterliegt, würden sich die Entscheidungen widersprechen. Die Grundlage der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts - der Vertrag vom 01.02.2018 und damit die Anwendbarkeit türkischen Rechts - würde entfallen. Die Beurteilung des Teilanspruchs ist nicht vom Ausgang des Streits über die anhängig gebliebenen Ansprüche unabhängig.

[12]b. ... 2. Die Kündigung vom 14.02.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder außerordentlich fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst. Es ist deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden. Die Beklagte hat keinen Grund dargelegt, der die Kündigung gemäß § 626 BGB oder § 1 KSchG rechtfertigt.

[13]a. Auf das Arbeitsverhältnis ist deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, festgestellt. Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen lediglich zur Vertiefung, soweit die Berufungsbegründung hierfür Anlass gegeben hat.

[14]aa. Ob sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem Arbeitsvertrag vom 23.07.2008 und Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 13.12.2017 oder Dienstvertrag vom 01.02.2018 richtet, kann dahinstehen. Ob die vertraglichen Grundlagen durch den Aufhebungsvertrag vom 31.01.2018 geändert wurden, bleibt der Entscheidung des Arbeitsgerichts vorbehalten.

[15]Soweit der Arbeitsvertrag vom 23.07.2008 die vertragliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses darstellen sollte, wäre deutsches Recht anzuwenden. Wenn der Dienstvertrag vom 01.02.2018 die vertragliche Grundlage darstellen sollte, wäre ebenfalls deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden.

[16]bb. Nach dem Dienstvertrag vom 01.02.2018 haben die Parteien die Anwendung türkischen Rechts vereinbart. Allerdings ist im Hinblick auf den Günstigkeitsvergleich deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden.

[17]Das Arbeitsgericht hat dies mit zutreffender Begründung festgestellt. Auf die Begründung und die dort mitgeteilten und zitierten Rechtsgrundsätze aus der Rechtsprechung wird Bezug genommen. Diese Begründung wird im Hinblick auf die Berufungsbegründung ergänzt.

[18]Zunächst folgt aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-​I-VO, dass durch die Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht der Schutz der zwingenden Normen des Rechts entzogen werden darf, welches bei objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 Rom-​I-VO anzuwenden wäre. Bei objektiver Anknüpfung käme deutsches Recht zur Anwendung, da der Kläger in Köln tätig gewesen ist und daher die Arbeit gewöhnlich von Deutschland aus verrichtet (Art. 8 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. Rom-​I-VO; vgl. EuGH 14.09.2017 - C-​168/16 und C-​169/16; BAG, Urteil vom 07.05.2020 - 2 AZR 692/19 (IPRspr. 2020-142) Rn. 27, juris). Zwingende Vorschriften in diesem Sinne sind Normen, die dem Schutz der Beschäftigten dienen und vertraglich nicht abdingbar sind. Der Günstigkeitsvergleich ist weder zwischen den Gesamtrechtsordnungen möglich noch sinnvoll zwischen Einzelvorschriften vorzunehmen, sondern zwischen Gruppen sachlich zusammenhängender Vorschriften (ErfK/Schlachter, 22. Aufl. 2022, VO (EG) 593/2008 Art. 9 Rn. 19).

[19]Die deutschen Regelungen zum Kündigungsschutz nehmen im internationalen und auch im europäischen Vergleich eine Sonderstellung ein, da bei unwirksamen Kündigungen grundsätzlich Bestandsschutz gewährt wird, bei wirksamen Kündigungen hingegen meist kein Anspruch auf eine Abfindung besteht. Die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kündigungsschutzbestimmungen ergeben sich aus dem Vertragsstatut Art. 8 Rom I-​VO (st. Rspr., zuletzt BAG, Urteil vom 17.01.2008 - 2 AZR 902/06 (IPRspr. 2008-41) - NZA 2008, 872, 872). Zugleich gelten die Vorschriften des deutschen KSchG als zwingend iSd. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-​VO, sie verdrängen also eine abweichende Rechtswahl (Grobys/Panzer-​Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Auslandstätigkeit/Entsendung Rn. 44; BAG, Urteil vom 20.11.1997 - 2 AZR 631/96 (IPRspr. 1997 Nr. 58) - NZA 1998, 813, 813).

[20]Der Beklagten ist zuzustimmen, dass das türkische und das deutsche Kündigungsschutzrecht viele Ähnlichkeiten aufweisen. Die Kammer kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der Bestandsschutz für die Arbeitnehmer günstiger ist. Bei einer ordentlichen Kündigung unter Kündigungsschutz nach türkischem Recht muss der Arbeitnehmer wieder eingestellt werden, und für die ausgefalle Arbeitszeit erhält er zudem eine Entschädigung von höchsten vier Monatslöhnen (vgl. Seite 12 des von der Beklagten eingereichten Gutachtens). Falls der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotzdem nicht wiedereinstellt, bestimmt das Gericht eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens vier und höchstens acht Monatsgehältern. In diesem Fall endet das Arbeitsverhältnis. Im Gegensatz dazu stellen die Gerichte nach deutschem Arbeitsrecht fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist. Entsprechend ist für die ausgefallene Arbeitszeit Annahmeverzugslohn vom Arbeitgeber zu zahlen. Nur in den Fällen des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG besteht die Möglichkeit des Arbeitgebers, einen Auflösungsantrag zu stellen. Dies gilt nur für den Fall, dass Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen (Thies in: Henssler/Willemsen/ Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 9 KSchG, Rn. 21). Die Ausgangssituation nach deutschem Recht ist für die Arbeitnehmer erheblich günstiger. Diese Bewertung der Kammer ändert der von der Beklagten angeführte Schadenersatzanspruch bei Ausspruch einer unwirksamen böswilligen Kündigung seitens des Arbeitgebers nicht. Nach § 628 Abs. 2 BGB kann dem Arbeitnehmer in Einzelfällen auch ein Schadensersatzanspruch zustehen, wenn die Eigenkündigung des Arbeitnehmers durch vertragswidriges Verhalten des Arbeitgebers veranlasst wurde. Auch wenn in diesen Fällen eine Kündigung nicht vom Arbeitgeber ausgesprochen wurde, so ist bei einem, dem einer unwirksamen böswilligen Kündigung entsprechenden Verhalten ein Schadensersatzanspruch denkbar. Ob die finanziellen Belastungen des Arbeitgebers nach türkischem Recht höher sind als nach deutschem Recht, kann aus Sicht der Kammer letztlich dahinstehen. Entscheidend ist die Auswirkung der Kündigung für die Arbeitnehmer. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist maßgeblich, dass dem Arbeitnehmer bei der Anwendung von türkischem Recht der Bestandschutz entzogen wird. Nach deutschem Kündigungsschutzrecht ist nur in den Ausnahmefällen des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine Auflösung denkbar. Der Bestandschutz kann nicht mit einer Abfindungszahlung aufgewogen werden. Wie hoch die Zahlung im Einzelfall ist, betrifft die wirtschaftlichen Auswirkungen, jedoch nicht die wirtschaftliche Grundlage - das Arbeitsverhältnis - selbst.

[21]Entgegen der Meinung der Beklagten führt die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 01.09.2008 - 16 Sa 1296/07 (IPRspr. 2008-48) nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Landesarbeitsgericht Köln ist an die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts nicht gebunden. Zudem ist der Gegenstand der Entscheidung zu berücksichtigen. Das Hessische Landesarbeitsgericht führt in der Entscheidung aus:

[22]"Die Anwendung türkischen Rechts führt im vorliegenden Fall auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 EGBGB (ordre public). Ein solcher Verstoß liegt nur dann vor, wenn die Anwendung ausländischen Rechts zu schlichtweg unerträglichen Ergebnissen führte. Davon kann hier keine Rede sein. Das türkische Recht gewährt, wie noch auszuführen sein wird, ebenfalls einen Schutz gegen ordentliche Kündigungen, indem es für diese einen rechtfertigenden Grund verlangt. Dass der Kündigungsschutz, anders als nach deutschem Recht, nicht vorrangig als Bestandschutz ausgestaltet ist, sondern sich der Arbeitgeber durch Zahlung einer Entschädigung vom Arbeitnehmer in jedem Falle lösen kann, vermag keine entscheidende Rolle zu spielen. Auch Kündigungsschutz in der Form, dass die erzwungene Aufgabe des Arbeitsverhältnisses durch Geldzahlung ausgeglichen wird, ist Kündigungsschutz. Das belegen die entsprechenden deutschen Regelungen (§§ 9, 10, 14 KSchG)" (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 01.09. 2008 - 16 Sa 1296/07 (IPRspr. 2008-48) - Rn. 68, juris).

[23]Die Beklagte verkennt, dass es sich bei Art. 6 EGBGB um eine Klausel zum Schutz der eigenen öffentlichen Ordnung handelt. Maßstab ist, ob im Falle einer Sachentscheidung nach fremdem Recht Widersprüche zu elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen der deutschen Rechtsordnung drohen. In diesen Fällen möchte der ordre public den deutschen Grundwertungen zum Durchbruch gegen das eigentlich anzuwendende Fremdrecht verhelfen (Hemler in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Art. 6 EGBGB, Rn. 1).

[24]Hingegen ist der ordre public (Art. 21 Rom I-​VO) im Anwendungsbereich des Art. 8 Rom I-​VO einsetzbar. Indes ist seine Bedeutung durch Art. 8 selbst reduziert. Der bei Art. 8 Abs. I Rom I-​VO anzustellende Günstigkeitsvergleich und die Geltung der arbeitnehmerschützenden Bestimmungen des objektiven Arbeitsstatuts der Art. 8 Abs. 2 und 3 Rom I-​VO führen vielfach zu Rechtsanwendungsergebnissen, die einen Einsatz von Art. 21 Rom I-​VO erübrigen (Stürner in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rom I-​VO, Rn. 5). Der Anwendungsbereich ist ein anderer.

[25]Die Kündigung ist nach deutschen Kündigungsschutzrecht zu beurteilen.

[26]b. Die Kündigung vom 14.02.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst …

[27]aa. ... bb. ... cc. ... c. ... 3. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

[28]...

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